Hallo Ihr Lieben,
wir sind mittlerweile im Westen Kanadas angekommen. Die Größenverhältnisse des Landes sind uns auch hier wieder mal bewusst geworden. Während man in Deutschland von beispielsweise München nach Bremen in einer Stunde fliegt und damit das Land fast komplett überquert hat, fliegt man hier von Toronto im Osten nach Vancouver im Westen mal eben fünf Stunden. Doch bevor wir uns die Stadt angeschaut haben, hat es uns erst einmal nach Vancouver Island gezogen. Dorthin gelangt man mit der Fähre von Vancouver in knapp zwei Stunden.
Insel klingt vielleicht niedlich, tatsächlich ist diese aber mit ihren 450 km Länge und rund 100 km Breite von der Fläche in etwa so groß wie Belgien. Als Ausgangspunkt haben wir uns mit Campbell River die letzte größere Stadt an der Ostküste der Insel ausgesucht. Die Bewohner sagen selbst, das sei quasi das Ende der dortigen Zivilisation, weiter nördlich kommen nur noch kleine Dörfer. Uns hat es wieder einmal wegen der Natur und des Strathcona Provincial Parks dorthin verschlagen. Auf dem Weg nach oben fanden wir einen Lebensmittelmarkt, der weniger wegen seiner Äpfel berühmt ist, sondern eher wegen den auf dem Hausdach lebenden Ziegen – gutes Marketing, der Markt hat gebrummt.





Während der Zeit auf Vancouver Island haben wir bei einem total netten kanadischen Ehepaar und ihrer Katze Bella gewohnt. Noch am Abend unserer Ankunft wurden wir mit allen nützlichen Tipps für die Umgebung versorgt. Egal ob Wanderungen, Sightseeing, Einkaufsmöglichkeiten oder Restaurants. Schnell war auch klar, unser Gastgeber Gordon zeigt uns am nächsten Tag die Umgebung. Da er selbst zwar schon in Rente ist, sich jedoch mit jeder Menge Ehrenämtern, Tennis, Golf, Kajaken und Spazierengehen fit hält, hat auch er sich offensichtlich darüber gefreut, uns seine Umgebung zu zeigen. Gesagt, getan – am nächsten Vormittag haben wir gemeinsam die Elk Falls besucht und dabei jede Menge Infos und Geschichten über Land und Leben bekommen. Deswegen reisen wir einfach lieber über Airbnb als in Hotels zu wohnen. Bei so viel Gastfreundschaft haben wir uns ganz schnell heimelig gefühlt.










Am nächsten Tag sind wir gleich früh morgens in den nächstgelegenen Provincial Park für eine größere Wanderung aufgebrochen. Jedoch nicht ohne Kaffee – versteht sich von selbst. Den haben wir uns in einem der typischen Diner an der Straße geholt. Während die meisten Leute hier doch gern im Restaurant zur Goldenen Möwe oder anderen Fastfood-Ketten ein schnelles Frühstück holen, fanden wir das urige, von außen etwas abgeranzt wirkende Lokal doch sympathischer. Warum? Zwischen all den Truckern mit ihrem Spiegelei und Baked Beans hat uns eine freundliche und flippige junge Dame direkt einen Platz angeboten und freudestrahlend verkündet, klar gibt’s den Kaffee hier auch to-go. Eigentlich eine überflüssige Frage unsererseits, hier gibt’s einfach alles to-go. Nach ein bisschen Plauderei, woher wir denn kommen und was wir heute vorhaben, sind wir mit unserem frisch aufgebrühten Filterkaffee gestartet. Inklusive Tipps für unser Ausflugsziel, so viel ehrliche Freundlichkeit und Interesse lässt einen gleich die Müdigkeit vergessen. Auch wenn der Gipfel an diesem Tag etwas wolkenverhangen war, der Aufstieg mit 1.100 Höhenmetern zu einem Plateau mit Bergsee hat sich auf jeden Fall gelohnt.








Nach einigen netten Gesprächen rund um eine Feuerschale im Garten unserer Gastgeber, bei denen wir mehr über Kanada und die ebenfalls vielen Reisen von Gordon und seiner Frau erfahren haben, sowie einem neuen Jengaturm-Rekord, haben wir dann wieder zurück aufs Festland übergesetzt. Unsere Gastgeberin hat uns aber nicht gehen lassen, ohne dass wir ihr Rezept des typischen Hong-Kong-Style-Tees getestet hätten. Wir hatten sie am Abend zuvor nach dem Originalrezept aus ihrer gebürtigen Heimat gefragt, weil wir ihn damals in Hong Kong sehr gerne mochten. Wir hatten selbst schon ein paar mal experimentiert und werden ihr Rezept dann auch mal zu Hause ausprobieren. Wer möchte, ist herzlich zu einer sehr koffeinreichen Teestunde eingeladen 🙂


Vielleicht habt Ihr es schon gemerkt, Städte reizen uns nicht so sehr wie die Natur, dennoch wollten wir Vancouver für einen Tag erkunden. Die Skyline vom Stanley Park aus ist wirklich stark. Zumal man im Hintergrund die Berge sieht. Ein Highlight war für uns auch ein Spaziergang durch ebendiesen Park, wo wir einer vierköpfigen Waschbären-Familie über den Weg gelaufen sind. Oder besser gesagt ist die Familie uns über den Weg gelaufen, die Tierchen kreuzen hier nämlich wie selbstverständlich die Pfade. Vancouver selbst ist kleiner als wir vermutet hatten. Mit der Traumkulisse am Meer und Bergen einen Katzensprung entfernt lässt es sich hier sicher gut leben.




Wie in den letzten Städten haben wir natürlich auch in Vancouver Chinatown einen Besuch abgestattet. Einmal, weil das Eintauchen in die dortige andere Kultur einfach spannend ist, und weil wir seit Hong Kong auf chinesische Bäckereien abfahren. Große Mandelkekse und gedämpfte, mit BBQ-Pork (wahlweise auch Gemüse) gefüllte Buns sind einfach superlecker. In Vancouver ist Chinatown dazu auch noch eines der größten Nordamerikas. So wie in den meisten anderen Städten mit einem chinesischen Stadtbezirk betritt man diesen so gut wie immer durch einen Torbogen mit chinesischen Schriftzeichen und Verzierungen. Läuft man hindurch, ist es so als würde man durch ein von Dr. Strange geschaffenes Portal in eine andere Welt treten. In Vancouver war es ein sehr weit von unserer Realität entfernter Planet, eigentlich eher ein Paralleluniversum. Wie sonst auch waren die Straßenschilder mit chinesischer Übersetzung versehen, es gab alte Häuser aus dem frühen 20. Jahrhundert, im chinesischen Stil gebaut. Und natürlich ein der Kultur entsprechend angelegter Garten, massig chinesische Supermärkte und Restaurants. So weit, so normal in einem solchen Stadtteil.





Eher weniger normal war die Vielzahl an Obdachlosen und Drogenabhängigen, die mit leerem Blick, eingefallenen Gesichtern und vor Schmutz starrender Kleidung auf der Straße liefen oder in Hauseingängen lagen. Als ob es das Normalste der Welt wäre, hantierten sie offen mit Crack-Pfeifen und waren mit ihren Stückchen Alufolie und Feuerzeug ausgestattet auf dem Weg zum nächsten Kick. Viele von ihnen liefen mehr oder weniger verstört mit ihren wenigen Habseligkeiten auf dem Gehsteig herum. Mit halb angezogenen Schuhen oder gar ohne. In den von der Hauptstraße abzweigenden Nebengassen sah man Zelte, Matratzenlager, Unmengen von Müll und weitere Obdachlose, die teilweise abwesend in ihrer eigenen Welt durch die Gassen schlurften. An einer Hausecke verkaufte ein Dealer jemandem offen Pillen aus einer orangen Pillendose.
Wir haben uns nur in Nebenstraßen rund um die East Hastings Street aufgehalten und wollten dann eigentlich eine Pause in einem nahegelegenen Park machen. Den hätten wir über eine Seitenstraße zur Hauptstraße erreichen müssen. Da aus der Ferne schon ein lautstarker Nachbarschaftsstreit zweier Zeltbewohner (vielleicht war es auch ein Verkäufer-Käufer-Gespräch) zu hören war und eine gerade vorbeilaufende Frau im Schnellschritt aus der Richtung weggelaufen ist, hat uns unser Bauchgefühl dann aber doch umkehren lassen. Man muss es ja nicht unbedingt darauf anlegen. Das Ganze hat uns alles sehr nachdenklich zurückgelassen.



Wir sind auf unseren Reisen schon durch viele Städte und Orte gelaufen, gerade auch in sehr viel ärmeren Ländern, aber so viel Elend konzentriert an einem Ort haben wir bisher noch nie erlebt. Und wir haben dort auch nur an der Oberfläche gekratzt und sind nicht in all die Nebenstraßen abgetaucht.
Richtig unsicher haben wir uns nicht gefühlt, unbehaglich schon. Wir konnten durch ein Portal wieder in unsere Realität zurück, die Menschen dort werden ihre wahrscheinlich nie verlassen. Wer in der East Hastings Street landet, ist ganz unten angekommen. Jeder hat hier seine eigene Geschichte. Vielleicht hatte Einer sein eigenes Business, was schief gelaufen ist. Viele haben vielleicht eine Familie, Kinder, Freunde und sind hier, weil an irgendeinem Punkt in ihrem Leben etwas anders gelaufen ist als sie wollten. Hier fängt einen keiner auf, kein Sozialsystem, keine Sozialleistungen. Nur offensichtlich Freiwillige, die mit Erste-Hilfe-Sets durch die Straßen gehen, Spritzen einsammeln und schauen, ob sie irgendwie irgendwo helfen können. Es gibt sie, die Geschichten von Menschen, die es tatsächlich wieder zurückgeschafft haben, einen Job, eine Wohnung und einen Hund haben. Das sind aber wohl Einzelfälle. Da erscheinen die eigenen Probleme dann ganz klein.
Zurück zu schöneren Geschichten, auch wenn die Schattenseiten zum Reisen mit dazu gehören und einen auch längere Zeit beschäftigen. Wenn Ihr das lest, sind wir in der Nähe des Banff Nationalparks, haben eine kleine wunderschöne Hütte im Wald bezogen und auf dem Weg dorthin schon unseren ersten kleinen Schwarzbären gehen. Dazu aber mehr im nächsten Artikel! 🙂
Liebe Grüße nach Deutschland, bleibt neugierig und gesund!
Lenny & Franzi